„Der Kohlkarren“

„Fragen wir uns nun, in welchem Dienstverhältnis die Köhler zu den Behörden standen, wer ihr Arbeitgeber war und wie sich ihre Entlohnung regelte, so lag im Oberharz die Sache so:

Die staatliche Forstverwaltung war die Verkäuferin und Lieferantin der Holzkohlen an die Hütten. Die Köhlermeister waren also Angestellte der Forstverwaltung. In jeder Oberförsterei (heute heißen diese: Forstämter) befanden sich eine Anzahl Kohl-Haie, von denen je einer einem Köhlermeister zugewiesen war. Sie leisteten ihre Arbeit im Akkord (in der Bergmannssprache sagt man „Gedinge“), d.h. sie wurden nach dem Quantum ihrer Leistungen entlohnt. Für das Brennen einer bestimmten Einheit Kohlen – sagen wir 2 Raum-Kubikmeter – bekam der Köhlermeister ein bestimmtes Entgelt. Die Kohlen brauchten aber zum Zwecke der Berechnung nicht erst wieder aufgemetert zu werden, sondern die „Kohlkarren“, in denen die Kohlen abgefahren wurden (es waren aus starken Aesten geflochtene ovale Körbe) bildeten zugleich die maßgebende Körpermaße. Es gab davon zwei Größen. Die kleineren faßten 2, die größeren 4 Kubikmeter. Die kleineren hatten 2, die größeren 4 Räder. An jeder Karre hing (von der Polizei kontrolliert) ein mit Wasser gefüllter Eimer, da es oft vorkam, daß die Kohlen auf dem Transporte wieder in Brand gerieten und dann durch den Fuhrmann mit Wasser gelöscht werden mußten.“

Köhler-Leben 1889

Fuhrleute mit „Kohlkarren“ 1889 (Ausschnitt)

Karl Fieke; Die Köhlerei des Harzes in ihrer Poesie und Praxis – Ein Natur- und Kulturbild für das deutsche Volk. Nach der Darstellung früherer Autoren neu aufgelegt, berichtigt und wesentlich ergänzt von Karl Fieke, dem Sprossen einer alten Harzer Köhlerfamilie, Clausthal-Zellerfeld 1934, S. 53.

1889 – ein aufregendes Jahr

1889 – ein aufregendes Jahr: Der Eiffelturm ragt pünktlich zur Weltausstellung in den Pariser Himmel. Mit seinen 324 Meter ü NN ist der Koloss aus Stahl zu diesem Zeitpunkt das höchste Gebäude der Welt. Zwei Jahre zuvor startet das erste moderne Automobil, konstruiert von Carl Benz, in Mannheim. Die Eisenbahn hat bereits 1877 die Oberharzer Bergstädte Clausthal und Zellerfeld erreicht.

Die Chemiker Ludwig Mond und Charles Langer prägen 1889 den Begriff „Brennstoffzelle“ für die zukunftsweisende Wandlung von chemischer in elektrische Energie. Im selben Jahr entwickelte der Amerikaner George Eastman den ersten Rollfilm und ermöglicht so, mehrere Bilder hintereinander zu machen.

In diesem Jahr entsteht irgendwo im Oberharz auf einem Hai, einer grasbewachsenen Rodungsfläche, eine Fotografie. Der Fotograf ist dafür eigens in den Wald gekommen und hat seine Kamera aufgebaut. Vermutlich arbeitet er noch mit dem üblichen aufwändigen Verfahren der Belichtung von mit lichtempfindlichen Material beschichteten Glasplatten.

Der Fotograf arrangiert die Personen und Dinge, die er darstellen will, zu einem Gesamtbild. Im Vordergrund steht die Köhlerhütte. Zwei Kinder sitzen angelehnt an der grob aus Holzstämmen und Rinde gebauten Köte. Während der Sommermonate bietet sie der Familie Unterkunft.

Eine Kiepenfrau wartet konzentriert und ein bisschen ungeduldig darauf, dass das Bild im Kasten ist. Offenbar hat sie im Korb auf ihrem Rücken Waren zur entlegenen Köhlerei gebracht. Im Hintergrund qualmt der Meiler. Der Köhler steht in schwarzer Tracht vor dem sorgfältig geschichteten und während der Verkohlung Tag und Nacht beaufsichtigten Kegel aus Holzscheiten. Jetzt ist der Meiler fast völlig ausgeladen. Die Holzkohle ist bereit zum Abtransport.

Drei Fuhrleute sind bereit, die mühsam gewonnene Holzkohle mit ihren zweirädrigen Karren zu den Hüttenorten im Harzer Umland zu transportieren. Sie tragen die typische Tracht: Blauer Kittel, Manchesterhosen und auf dem Kopf den Schlapphut.

Ein junger Mann sitzt rechts im Bild auf einer Art schmaler Bank, möglicherweise fertigt er Schindeln aus Fichtenholz für die typische Außenverkleidung der Harzer Häuser.

Ganz vorn haben sich zwei Männer dekorativ ins Gras gelegt. Vermutlich sind sie auf den Fototermin hin oder nur zufällig vorbei gekommen: Sommerfrischler, die im Harz Erholung suchen.

Die Fotografie hält einen Moment fest, der vom Fotografen so arrangiert ist. Für ihn haben sich die verschiedenen Personen und Vertreter typischer Harzer Berufsgruppen im Bild postiert und warten geduldig ungeduldig in ihrer typischen Tracht und in ihrer besten Kleidung darauf, dass die Platte belichtet ist.

Das Bild ist damals schon ein sentimentales Zeugnis einer untergehenden Epoche. Es hing lange Zeit auf der Diele des Bormannshauses in Buntenbock, einem typischen Gebäude des einstigen Fuhrherrendorfes im Oberharz. Die Geschichte dieser Berufsgruppe wartet noch auf eine umfassende Darstellung von ihren Ursprüngen bis in die Gegenwart.

Dieser Blog soll einen Beitrag dazu leisten.