WELTKULTURERBE RAMMELSBERG: Kulturerbe der Menschheit: Der Rammelsberg

Tausend Jahre Bergbau und Leben am Rammelsberg: In den Führungen über und unter Tage vermittelt das WELTKULTURERBE RAMMELSBERG ungewöhnliche Einblicke in das Wirken der Menschen am nördlichen Harzrand.
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›Ein jeder hinter seinen Karren, und den Hahnen gespannt!‹

Anno 1536 bekam er einen Sohn, der hieß Reinhard Stilling; dieser war mein Urgroßvater. Er war ein stiller eingezogener Mann, der jedermann Gutes tat; er heuratete im 50sten Jahr eine ganz junge Frau, mit der er viele Kinder hatte; in seinem 60sten Jahr gebar ihm (d.i. seine Frau einen Sohn, den Henrich Stilling, der mein Großvater gewesen. Er war 1596 geboren, er wurde 101 Jahr‘ alt, daher hab ich ihn noch eben gekannt. Dieser Henrich war ein sehr lebhafter Mann, kaufte sich in seiner Jugend ein Pferd, wurde ein Fuhrmann und fuhr nach Braunschweig, Brabant und Sachsen. Er war ein Schirrmeister, hatte gemeiniglich 20 bis 30 Fuhrleute bei sich. Zu der Zeit waren die Räubereien noch sehr im Gange, und noch wenig Wirtshäuser an den Straßen; daher nahmen die Fuhrleute Proviant mit sich. Des Abends stellten sie die Karren in einen Kreis herum, so daß einer an den andern stieß; die Pferde stellten sie mitten ein, und mein Großvater mit den Fuhrleuten waren bei ihnen. Wann sie dann gefüttert hatten, so rief er: ›Zum Gebet, ihr Nachbarn!‹ dann kamen sie alle, und Henrich Stilling betete sehr ernstlich zu Gott. Einer von ihnen hielt die Wache, und die anderen krochen unter ihre Karren ans Trockne, und schliefen. Sie führten aber immer scharf geladen Gewehr‘ und gute Säbel bei sich. Nun trug es sich einmal zu, daß mein Großvater selbst die Wache hatte; sie lagen im Hessenland auf einer Wiesen, ihrer waren sechsundzwanzig starke Männer. Gegen eilf Uhr des Abends hörte er einige Pferde auf der Wiese reiten; er weckte in der Stille alle Fuhrleute und stund hinter seinem Karren. Henrich Stilling aber lag auf seinen Knien, und betete bei sich selbst ernstlich. Endlich stieg er auf seinen Karren, und sah umher. Es war genug Licht, so, daß der Mond eben untergehen wollte. Da sah er ungefähr zwanzig Männer zu Pferd, wie sie abstiegen und leise auf die Karren losgingen. Er kroch wieder herab, ging unter die Karre, damit sie ihn nicht sähen, gab aber wohl acht was sie anfingen. Die Räuber gingen rund um die Wagenburg herum, und als sie keinen Eingang fanden, fingen sie an, an einem Karren zu ziehen. Stilling, sobald er das sah, rief: ›Im Namen Gottes schießt!‹ Ein jeder von den Fuhrleuten hatte den Hahnen aufgezogen und schossen unter den Karren heraus, so daß der Räuber sofort sechse niedersunken; die andern Räuber erschraken, zogen sich ein wenig zurück und redeten zusammen. Die Fuhrleute luden wieder ihre Flinten; nun sagte Stilling, ›Gebt acht, wenn sie wieder näher kommen, denn schießt!‹ Sie kamen aber nicht, sondern ritten fort. Die Fuhrleute spannten mit Tagesanbruch wieder an, und fuhren weiter; ein jeder trug seine geladne Flinte und seinen Degen, denn sie waren nicht sicher. Des Vormittags sahen sie aus einem Wald wieder einige Reuter auf sie zuzeiten. Stilling fuhr zuförderst, und die andern alle hinter ihm her. Da rief er: ›Ein jeder hinter seinen Karren, und den Hahnen gespannt!‹ Die Reuter hielten stille; der vornehmste unter ihnen ritt allein auf sie zu, ohne Gewehr, und rief: ›Schirrmeister, hervor!‹ Mein Großvater trat hervor, die Flinte in der Hand und den Degen unterm Arm. ›Wir kommen als Freunde‹, rief der Reuter. Henrich traute nicht und stund da. Der Reuter stieg ab, bot ihm die Hand und fragte: ›Seid ihr verwichene Nacht von Räubern angegriffen worden?‹ ›Ja‹, antwortete mein Großvater, ›nicht weit von Hirschfeld auf einer Wiese.‹ ›Recht so‹, antwortete der Reuter, ›wir haben sie verfolgt, und kamen eben bei der Wiese an, wie sie fortjagten und ihr einigen das Licht ausgeblasen hattet; ihr seid wackre Leute.‹ Stilling fragte, wer er wäre? der Reuter antwortete: ›Ich bin der Graf von Wittgenstein, ich will euch zehn Reuter zum Geleit mitgeben, denn ich habe doch Mannschaft genug dort hinten im Walde bei mir.‹ Stilling nahm’s an, und akkordierte mit dem Grafen, wieviel er ihm jährlich geben sollte, wenn er ihn immer durchs Hessische geleitete. Der Graf gelobt’s ihm, und die Fuhrleute fuhren nach Hause.

Aus: Johann Heinrich Jung-Stilling; Henrich Stillings Jugend, Jünglingsjahre, Wanderschaft und häusliches Leben, Stuttgart (Reclam) 1997, Kapitel 8.

Feldlager im 16. Jhd. Faksimile der Radierung von Jost Amman (1531-1591); eingescannt aus: Henne am Rhyn, Dr. Otto: Kulturgeschichte des deutschen Volkes, Erster Band, Berlin, 1897., S. 482. Quelle: Wikimedia Commons.

Holz zu jeder Jahreszeit

Holzfuhr im Winter – hier für den Eigenbedarf – Aufnahme um 1900 bei Buntenbock.

Das Feuerholz wurde vor alters wie die Kohlen in zweiräderigen Karren gefahren, auf welchen statt des Korbes zwei niedrige Wagenleitern angebracht waren, zwischen denen das Holz aufrecht und hoch aufgetürmt stand. Ein solcher Karren faßte 2 alte Harzmalter à 30 Kubikfuß, also etwa 1 1/2 m. Auf den jetzigen Leiterwagen zieht ein Pferd 1 Harzmalter à 80 Kubikfuß = 2 m. Doch wird bei den besseren Waldwegen im Sommer meist zweispännig zu Walde gefahren. Ein großer Teil des Brennholzes muß indes „gerückt“ werden: es ist von steilen Berghängen durch ein tiefes Tal und wieder hoch hinauf zu schaffen, so daß den Zugtieren bis zum Beginn der Hochebene nur die halbe Ladung zugemutet werden kann.

Manche Forstorte liegen so ungünstig, daß die Abfuhr des Holzes vorteilhaft bis zu guter Schlittenbahn aufgeschoben wird. An frosthellen Wintertagen begegnen uns oft ganze Karawanen, und wir müssen, da ein anderes Ausweichen unmöglich und von Rohrs‘ Urteil über die Fuhrknechte (siehe S. 149) noch immer nicht ganz unzutreffend ist, uns seitwärts in den tiefen Schnee stellen, bis die letzten Schlitten vorüber sind.

Die einen fahren Schachtholz für die Gruben. Die langen, starken Fichten, denen nur die äußerste Spitze und die Zweige genommen sind, hat man mit dem Stammende zu Zweien oder Dreien auf dem „Knäbchen“, einem ganz kurzen, festen Schlitten, mittels Ketten befestigt, das Zopfende schleift aufdem Schnee und macht den Weg spiegelglatt. In dem schmalen Fahrgleise gehen die vor das Knäbchen gespannten Pferde hinter einander.

Andere Fuhrleute haben Brennholz geladen, und in langem Zuge, Schlitten hinter Schlitten, vor jedem ein Pferd, kommen sie dort über den Berg. Jetzt machen sie für einen Augenblick Halt. Der Atem der dampfenden Pferde wird sofort zu Reif. Um sich zu erwärmen, versuchen sich die Fuhrleute im Knallen, und weithin schallt’s wie Flintengeknatter durch den stillen Wald. Wenn die Pferde sich erholt haben, ziehen sie von selbst wieder an, und mit leisem Glockenklingen geht der Zug weiter.

Friedrich Günther; Der Harz, S. 547f. s. auch Karl Thiele, Fuhrleute.

Fuhrmannstaufe

 

Ilfeld I Das Nadelöhr

Ilfeld | Das Nadelöhr | Foto: Eckie22 Eckbert John – Wikimedia Commons

 

Auf der Heerstraße hinter dem Ort [Ihlfeld] geriethen wir mitten in eine lebhafte Volks-Scene, die bösartiger Natur schien, und säumten nicht, mit Wort und That einem Einzelnen beizustehen, der von der Mehrzahl misshandelt schien.

Mehrere mit Leinwandüberwölbte und mit langen Zügen muthiger Hengste Pferd an Pferd bespannte Wagen hielten auf der Chaussee.

Die Führer in ihren blauen Staubhemden aber waren unter boshaftem Geschrei und spöttischem Gelächter um einen Felsblock von seltsamer Gestalt beschäftigt, den sie zum Marterblock eines ihrer Kameraden ausersehen.

Der weisse Stein glich beinahe einem auf die Spitze gestellten Triangel und hatte mitten eine einge Spalte; in ihr steckte der muskulöse und wolbeleibte Bursche, und die Uebrigen bemühten sich, mit ihren groben, safrangelben Zigeunerhänden den Eingeklemmten und laut Aechzenden hindurch zu spediren. Es gelang, der Bursche stand auf den Beinen, aber die Kleidung hing zerfetzt und die Schultern waren geschunden, doch lächlete der junge Mensch sausersüss in die Morgenluft hinein.

Ein alter Fuhrmann klärte uns die Sache auf.

Der Stein hiess das Ilefelder Nadelöhr, und jeder Kärrner, der um ersten Male diese Strasse von Nordhausen herauf passirt, muss sich dem Durchkriechen unterwerffen. Es war also eine Art Neptununs-Taufe am Aequator auf dem Lande gewesen, und dieses Nadelöhr, den Magern Freund, den Wohlbeleibten Feind, mochte schon manchem Dorfschneider Arbeit gegeben haben. –

„Die Geschichte wäre für unsern Fränzel ein Gaudium gewesen,“ bemerkte unser Musikus, erschrak aber und brach ab, als er die Wolken sah, welche diese Erinnerung auf alle Gesichter legte.

Wilhelm Blumenhagen; Wanderungen durch den Harz, S. 183f. Leipzig 1838.

Fuhrmannsleben VIII | Letzte Ruhe

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„Fuhrmannsleben.“ Holzstich nach Ernst Fröhlich 1849. Münchener Bilderbogen Nr. 24. – 11. Auflage

Zweiter Fuhrmann: Wer ist der beste Fuhrmann?

Erster Fuhrmann: Der am weitesten und am schnellsten fährt.

Zweiter Fuhrmann: Nun Esel, wer fährt weiter als der aus der Welt fährt, und
wer fährt schneller, als der’s in einer Viertelstunde thut.

Georg Büchner, Danton’s Tod, Frankfurt am Main 1835.

Fuhrmannsleben V | Utspann

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„Fuhrmannsleben.“ Holzstich nach Ernst Fröhlich 1849. Münchener Bilderbogen Nr. 24. – 11. Auflage

Der Transport per oder zur Fuhre oder Achse nimmt bekanntlich bei uns von Jahr zu Jahr an Bedeutung ab. Schon die Verbesserung so mancher Wasserstraßen wirkte früher darauf ein; in neuester Zeit hat aber die Ausbreitung der Eisenbahnen dem deutschen Frachtfuhrwesen einen Stoß gegeben, von welchem dasselbe sich nie wieder erholen wird.

Trotz dessen hing noch bis in das erste Viertel dieses Jahrhunderts die Blüthe unsres Binnenverkehrs auf das Genaueste mit der guten Organisation des Fuhrwesens zusammen, welches Letztere auch vor Allem eine so bedeutende Rolle auf den Messen spielte.

Der Frachtvertrag mit einem Fuhrmann wird vom Kaufmanne selten directe mit Diesem geschlossen; in der Regel tritt dabei eine Mittelsperson hinzu, welche im Allgemeinen Güterbestätter oder Güterschaffner genannt wird. Häufig nennt ein solcher Schaffner sich auch Spediteur, was aber, des anderweitigen Verstandes dieses Wortes halber, leicht zu Misverständnissen führen kann; in Hamburg, Lübeck und Holstein hat man endlich für eine gewisse Classe von Güterbestättern noch den lokalen Namen Litzenbrüder.

An vielen Orten sind, von alten Zeiten her, dergleichen Geschäfte zugleich mit einem vollständigen Ausspann der Fuhrleute, einer Gastwirthschaft, verbunden, und ganz treffend zählt noch Leuchs die Gastwirthe zu einer Art von „Consuln“ der Fuhrleute. Ehemals bezogen die Güterbestätter wohl ziemlich durchstehend den Lohn (resp. Litzgeld) für ihre Bemühung vom Absender wie vom Fuhrmann; gegenwärtig sind sie dabei jedoch mehrentheils bloß auf den Letzteren angewiesen.

Die Handelswissenschaft, theoretisch und praktisch dargestellt von Ludolph Schleier, Leipzig 1848, S. 591f.

harzer ‚goat walk‘

Trachten aus dem Harz. Chromlithographie von A. Kretschmer um 1887.

Trachten aus dem Harz.
Chromlithographie von Albert Kretschmer um 1885.

Der Harz

Bei den Männern ist, neben dem blautuchenen Rock von halbmoderner Form als Sonntagstracht, der hellblauleinene Kittel für den Werktag vorherrschend; letzterer unverändert wie er in den meisten Gegenden Norddeutschlands sich wiederfindet: ohne Kragen, bald in engen, bald in flacheren Faltenlagen vom Ausschnitt des Halses ausgehend, und mit breiter Verzierung von weißer oder dunkelblauer Stickerei am Achselstück.

Die schwarzen oder hellen Lederhosen mit Stiefeln bis unter das Knie reichend, dunkelblaue Strümpfe, und über diese Gamaschen von hellem Tuch, von der ganzen oder halben Länge des Unterschenkels, schwarzlederne Gebirgsschuhe mit dicken Sohlen und vielen Nägeln beschlagen, ein runder, schwarzer oder brauner Filzhut mit niedrigem Kopf und breiter Krempe, eine dunkelblaue Mütze von Tuch mit Lederschirm und endlich die mit Pelz besetzte Sammetkapppe ist die hier am meisten gebräuchliche Bauerntracht.

Am eigenthümlichsten kleidet sich unter den Bewohnern dieser Gegend der Schäfer. Im langen dunkelblauen Tuchrock mit dem brennend rothen Unterfutter und mit gemusterten Messingknöpfen besetzt; um Schulter und Rücken das lederne Ränzel mit vielen Metallbeschlägen, Ringen, Hundekoppeln und dergleichen Dingen, die theils von praktischem Nutzen sind, theils auch nur dazu dienen, seine Würde erkennen zu lassen; in der einen Hand das machthaberische Zeichen, den langen Schäferstab mit eisernem Haken, so finden wir ihn neben seiner wandelnden Sommerwohnung, dem „Schäferkarren“, welcher Schlafstube und Speisekammer vertritt.

Das Uebrige, diese Tracht Vervollständigende finden wir beim Bauern wieder, nur zuweilen vertauscht er den blautuchenen Rock mit einem weißleinenen oder trägt unter einem dieser beiden noch den blauleinenen Kittel.

Die Frauentracht in der Gegend um Wernigerode hat bei großer Einfachheit in Stoff, Farbe und Form dennoch viel Anmuthiges. Das gescheitelte oder nach der Höhe gestrichene Haar wird am Wirbel von einem schwarzseidnen Häubchen bedeckt, welches bald spitz nach hinten steht, bald flacher am Kopfe anliegt, und deren lange schwarzseidene Bänder am Rücken, sowie auch unter dem Kinn besfestigt, herabhängen.

Für die übrige Bekleidung lieben die Harzerinnen meistens Wolle oder dunkelstreifig und blumig gemusterten Kattun, welcher so nebeneinander gestellt ist, daß in vielen Fällen eine harmonische Farbenwirkung erzielt wird. Ein Kattunrock mit Kattunstreifen anderer Farbe am Saum besetzt, und eine Jacke und Schürze desselben Stoffs von dritter und vierter Farbe sind fast immer zusammen. Diese Zusammenstellung ist dennoch wenig auffallend, weil die Stoffe vorherrschend in ernsten Farben gehalten sind.

Die Röcke sind in nicht übermäßiger Faltenfülle und reichen in größter Länge beinahe bis zum Knöchel; sie sind häufig langgestreift und, wie oben erwähnt, am Saum breit besetzt. Die Schürzen sind größtentheils von dunkelbraunem Kattun mit weißen Blümchen (ähnlich der in jeder Wirthschaft bekannten Küchenschürze), doch sind auch hellstreifige oder hellblumige gebräuchlich und bei reicheren Bäuerinnen auch von besserem Stoff. Ein dunkelfarbiges Mieder, aus welchem die weißen Hemdärmel hervorsehen, ist für das Haus üblich, sonst wird über dieses eine glatte Jacke angezogen und darüber wieder ein Kattunbrusttuch dreizipfelig gebunden, dessen zwei Enden vorn von der Schürze bedeckt werden.

Ganz eigenthümlich ist außerdem der radförmige Mantel von dickem Stoff, womit sich die Harzerinnen gegen die Rauhigkeit des Wetters schützen und dessen Gebrauch sich auch bis in das benachbarte Flachland, im Regierungsbezirk Magdeburg, ausdehnt. Er ist am häufigsten von schwarzblauer oder trübroter Farbe und mit weißen Streifen, die der Breite nach verschieden sind, so bedeckt, daß der eine Theil der Streifen vom Nacken bis zum Saum lothrecht herabgeht, während von da aus die beiden anderen Theile im schiefen Winkel nach vorn auslaufen.

Um Stollberg bedienen sich die Frauen eines hellen Kattunmantels mit großem Kragen; am Halsausschnitt ist derselbe mit einer Krause, am Kragen und unteren Saum mit einem in Falten gezogenen Besatz desselben Stoffs verziert. Auch trägt man hier statt des schwarzseidenen Häubchens ein Kattunkopftuch, welchse als Binde um den Kopf gelegt wird, und dessen Enden im Nacken herabhängen.

Albert Kretschmer; Deutsche Volkstrachten, Leipzig 1887, S. 25f.

abgefahren

§. XII. Eines Fuhrmanns.

Aus dem text Joh. XX,17. Ich fahre auf zu meinem Vater etc. hat Baumannus I. cit. p. 141. seqq. gezeigt.

Propos. Die selige abfahrt eines Christen aus diesem Leben /

& quidem ratione

I.) subjecti, wer da fährt?            Ich etc.

II.) Termini, wohin er fährt?      Zu meinem Vater etc.

III.) midi, wie er fährt?                Ich fahre auf etc.

Maria von Magdala | Johannes 20, 11-18

11 Maria aber stand vor dem Grabe und weinte draußen. Als sie nun weinte, guckte sie ins Grab 12 und sieht zwei Engel in weißen Kleidern sitzen, einen zu den Häupten und eine zu den Füßen, da sie den Leichnam hin gelegt hatten. 13 Und diese sprachen zu ihr: Weib, was weinest du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hin gelegt haben.
14 Und als sie das sagte, wandte sie sich zurück und sieht Jesus stehen und weiß nicht, daß es Jesus ist. 15 Spricht er zu ihr: Weib, was weinest du? Wen suchest du? Sie meint es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir, wo hast du ihn hin gelegt, so will ich ihn holen. 16 Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm: Rabbuni (das heißt: Meister)!

Noli me tangere | Albrecht Dürer (1471-1521) | Washington National Gallery of Art

Noli me tangere | Albrecht Dürer (1471-1521) | Washington National Gallery of Art | Wikimedia Commons

Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. (Hebräer 2.11-12) 18 Maria Magdalena kommt und verkündigt den Jüngern: Ich habe den HERRN gesehen, und solches hat er zu mir gesagt.

Luther 1912

 

Der allezeit fertige Geistliche Redner / Welcher Einem angehenden Prediger zeiget / was er bey Antritt / Verwaltung / unterschiedlichen Fällen / und endlicher Niederlegung seines Amts zu reden hat; Und nicht allein über die Evangelien und Episteln / Catechismum und Paßion / sondern auch über viel 100 Texte geschickte Dispositionen fürstellet / absonderlich aber zu denen Casual predigten gute Anleitung giebet: Jetzo um viel vermehret und mit einem doppelten Anhang / I von denen Jahrgängen / II von der Bibliothek eines Predigers / ans Licht gestellet von M. NICOLAO HAAS [1665-1715]. Mit Königl. Polnischen und Churfürstl. Sächs. allergnädigstem PRIVILEGIO. Leipzig / bey Thomas Fritschen / 1701.

Das IX. Cap. von Leichen-predigten, Classis I. nach unterschiednen ständen der verstorbenen. C. Im hauß-stande §. XII. Eines Fuhrmanns, S. 711.

Maria im Elende

Tief im Harzgebirge führte ein Fuhrmann zur Winterszeit eine Last Weines, und an unwegsamer sumpfiger Stelle blieb sein Wagen stecken, ja es drohten Schiff (scil. vehiculum) und Geschirr im Schnee und Morast gar zu versinken.

Da rief er, in tiefer Waldeinsamkeit sich von aller menschlichen Hülfe verlassen sehend, Gott und die heilige Jungfrau an, ihn aus diesem Elende zu retten, und siehe, es erschien ihm die Königin der Himmel und rettete ihn.

Da sie ihn nun fragte, welche Fracht er geladen habe, und er antwortete: Wein!, so wünschte sie den Wein zu kosten. Dazu war der Fuhrmann gleich willig und bereit, allein er klagte, daß er keinen Becher habe.

Da rührte Maria an einen Dornenstrauch, und alsbald sproßten Rosen aus dem Strauche, welche Maria brach und zu einem Becher formte, den sie dem Fuhrmann gab. Dieser ließ Wein in den Rosenbecher fließen, und siehe, der zarte Pokal hielt den Wein, wie aber der Fuhrmann nun den Wein seiner Retterin reichen wollte, so war sie verschwunden, und sein Blick suchte sie vergebens ringsumher.

Leicht zogen jetzt die Pferde die Last des Wagens, bis sie an ein einsames Kirchlein kamen, das schon zu des Bonifazius Zeiten in diesen tiefen Waldeinöden erbaut sein sollte. Der Fuhrmann erkannte darin, daß seine Pferde am Kirchlein anhielten, den Wink des Himmels, hier zu danken, er trat hinein und erstaunte, als er in dem darin aufgestellten Marienbilde ganz das holdselige Frauenbild wiedererkannte, das ihm helfend und rettend erschienen war.

Dankend kniete er nieder und stellte das wundersame Gefäß, den Blumenkelch, auf den Altar und erzählte allen Menschen, die er traf, das hohe Wunder. Da strömten aus Nähe und Ferne bald die Gläubigen herbei, die Wunderkraft der hülfreichen Maria im Elende anzurufen; es begründete sich, wie dort zu Grimmenthal im Henneberger Lande, ein Wallfahrtort und ein Hospital; es mußten neue und viele Türen in die Mauerwände der Kirche gebrochen werden, und die Wände bedeckten sich mit Krücken der Lahmen und Brüchigen, die geheilt von dannen gingen.

Ein Nonnenkloster entstand, eine neue herrliche Kirche ward erbaut und die Rosenkirche genannt, weil ein Kreuz von vierundsiebenzig steinernen Rosen ihr Gesimse zierte. Auch ein Haus für sechs Kanoniker ward erbaut, und große Schätze wurden gesammelt, welche noch dort vergraben liegen sollen, nachdem schon längst der Glanz und aller fromme Wunderglaube dahin ist.

Als die Zeit der Verwüstung gekommen war und das hülfreiche Marienbild beseitigt wurde, hat es sich erhoben und ist nach Heiligenstadt gewandelt, wo es noch bis heute der Verehrung gläubiger Christen sich erfreut.

Ludwig Bechstein; Deutsches Sagenbuch, Meersburg und Leipzig 1930, S. 278f.