Fuhrleute

Von Karl Thiele

In den letzten Jahrhunderten, ja zum Teil auch noch zu Anfang dieses Jahrhunderts, stand das Fuhrwesen in voller Blüte. Für jeden Güterverkehr mussten Pferdegespanne eingesetzt werden, denn das Pferd war damals noch die stärkste Kraft bei der Beförderung dieser Güter und Lasten. So begegnete man zu diesen Zeiten auf Straßen und Wegen im Gegensatz zu heute nur Pferdegespannen, von Fuhrleuten geleitet.

Viele Fuhrbetriebe mit zahlreichen Fuhrleuten bewältigten diese Aufgaben. Sie waren auch in Buntenbock zahlreich vertreten, dabei größere Betriebe, Fuhrherren nannten sich ihre Besitzer, die 24, ja bis 36 Pferde besaßen und dazu die nötige Anzahl von Fuhrknechten beschäftigten. Buntenbock war das Dorf der Fuhrleute.

Die Eisenbahn, deren Liniennetz sich verhältnismäßig schnell verdichtete, brachte schon durch ihre weit größere Kapazität den teueren, auch langsameren Transport mittels Pferden über weite Entfernungen nach und nach völlig zum Erliegen.

Durch die Ausrüstung der Verkehrsmittel mit Benzin- und Dieselölmotoren erwuchs dem Fuhrwesen auch im Nahverkehr eine starke, erfolgreiche Konkurrenz. So sank das Fuhrwesen von seiner stolzen Höhe immer weiter herab und ist heute fast bedeutungslos geworden.

Den wackeren Fuhrleuten, die bei Wind und Wetter ihre ganzen Kräfte für die Befriedigung der Bedürfnisse der Bewohner, der Wirtschaft einsetzten, sei der folgende Beitrag gewidmet:

Bevor die Eisenbahn die Beförderung von Gütern übernahm, musste jede Ware, die nicht im Heimatbezirk erzeugt bzw abgesetzt werden konnte, durch Pferdgespanne oft über weite Strecken transportiert werden. Die Fuhrleute, welche die schweren, mit einer großen grauen Plane überdachten Frachtwagen über die oft recht holperigen Landstraßen, meist ehemalige Heerstraßen, leiteten, diese Fuhrleute waren die Elite. Das waren Leute, deren Wege bis Bremen hinauf, nach Osnabrück, bis weit ins Thüringische hinein führten. Die kannten hier jede Landstraße und ihre Beschaffenheit, die kürzesten Wege zum Ziel, auch allerlei Umwege, die durch weniger Steigung und bessere Fahrbahnen bequemer zu befahren waren. Bormann’s Christian formulierte das bei Erzählungen über seine Frachtfahrten immer so: „Man kann awerok hinnerüm fahrn, ower…“

(Man kann aber auch hintenrum fahren, über…).

Christian Bormann, geb. 1858 in Buntenbock, übernahm den Fuhrhandel von seinem Vater Heinrich Carl Wilhelm Bormann. Er ist der letzte Vertreter der Familie, der das Fuhrhandwerk ausübte.

Christian Bormann, geb. 1858 in Buntenbock, übernahm den Fuhrhandel von seinem Vater Heinrich Carl Wilhelm Bormann. Er war der letzte Vertreter der Familie Bormann, der das Fuhrhandwerk ausübte. (Foto: Privat)

Diese Frachtfuhrleute waren den heutigen Fernfahrern vergleichbar. Nur ging das seinerzeit langsamer, man war wochenlang unterwegs.

Abends wurde dann an sogenannten Ausspannen, die meist an den Rändern der Ortschaften lagen, halt gemacht. Das geräumige Anwesen – heute noch hier und da zu erkennen – war mit großem Hof und geräumigen Ställen ausgestattet, so dass Wagen und Pferde gut untergebracht werden konnten.

Erzkarren

Waren die Wagen abgestellt, die Pferde abgeschirrt und versorgt, ging man zum Abendessen in die niedrige Gaststube, zu ebener Erde vorne im Haus. Dort saß man dann an blankgescheuerten Holztischen auf einfachen Holz-Stühlen oder –Bänken, verzehrte von den mitgenommenen Vorräten, bestellte beim Wirt ein einfaches Kartoffelgericht, oder einen Kumpen mit Erbsen- oder Bohnensuppe, ließ sich das einheimische Bier munden, nahm dann und wann einen Schluck aus dem Schnapsbuddel, den man sich vom Wirt wieder füllen ließ. Hier traf man sich aus allen Gegenden, tauschte Erfahrungen und Neuigkeiten aus, der Spaß kam auch nicht zu kurz. So ging es bei den rauen, bärtigen Gesellen lebhaft zu, bis man sich im Nebenraum auf Strohsäcken zur Ruhe legte.

Im 18. Jahrhundert war der Kohlenhof in Moringen am Solling eine große Ausspanne, ein großer Umschlageplatz. Harzer Fuhrleute beförderten Eisenerz nach Moringen. Von dort wurde das Eisenerz weitergeschafft zu den Sollinger Hütten; die Lerbacher Hütte wurde erst später gebaut. Als Rückfracht nahmen die Fuhrleute Sollinger Holzkohle für die Harzer Hütten mit. Buntenböcker Fuhrleute werden diese Fuhren auch mit unternommen haben, denn Eisenerzgruben gab es oberhalb Lerbach bis Buntenbock, im Ziegenberg bis zum Huttal hin, die vielen „Schachtlöcher“ zeugen noch davon.

Waren im Flachland weniger steile Berge zu überwinden, so war der Rückweg von Osterode in den Harz hoch doch ziemlich anstrengend und stellte hohe Anforderungen an Pferd und Wagen. Manche starke Steigung mussten die kräftigen Pferde, angefeuert durch lautes „Hühe“- Rufen und Peitschenklatschen der Fuhrleute, überwinden. Unter manchem derben Stoß ächzte der Wagen, knarrten die Räder.

Bei dieser übergroßen Beanspruchung zeigte sich das gediegene handwerkliche Können des Stellmachers und des Schmiedes im Dorfe, die diese Wagen in einwandfreier Arbeit und aus ausgesuchtem Material fertig gestellt hatten. Die Fuhrleute konnten sich auf ihre Wagen verlassen; die beiden Handwerker standen bei ihnen in hohem Ansehen.

Auf den Landstraßen sperrten hier und da Schlagbäume die Weiterfahrt. Hier mussten die Fuhrleute, ehe der Schlagbaum hochgezogen wurde, nach der Größe ihrer Wagen Zoll entrichten. Im Hannoverschen wurden diese Stellen auch kurz „Einnahmen“ genannt. In der näheren Umgebung war es das Weghaus „Heiligenstock“, auch deutet der Straßennahme „Am Schlagbaum“ vor dem Eingang nach Clausthal auf eine solche „Einnahme“ hin.

Ihr Geld bewahrten die Fuhrleute in der Geldkatze auf, einem schlauchartigen Lederbeutel, der mit einem Riemen um die Hüfte geschnallt wurde. Das Geld hatte so einen gesicherten Platz; es war ja auch alles Hartgeld. Manchmal reichten wohl auch diese Geldkatzen nicht aus, die Geldeinnahmen zu bergen, wurde doch immer erzählt, dass bei manchen Fuhrherren die harten Silbertaler in „Füllfässern“ (flache, längliche Korbgeflechte) ins Haus gebracht wurden.

Wie schon gesagt, weit herum kamen die Frachtfuhrleute, hatten Land und Leute kennengelernt, überall die Augen und Ohren aufgehabt und waren gewitzige, schlagfertige Leute geworden. Wenn sie dann im heimatlichen Krug zusammen saßen, lauschten alle, deren Wege sie nicht so weit von der Heimat wegführten, ihren Erzählungen. Manchmal wird schalkhafterweise dabei auch viel Fuhrmannslatein, manches erfundene oder übertriebene Abenteuer zu Gehör gekommen sein.

Für den Nahverkehr gab es auch Arbeit in Hülle und Fülle. Da mussten von den Gruben die Erzbrocken zu den einzelnen Pochwerken, die sie zerkleinerten, Schliech, von dort zu den Hütten gefahren werden, ebenso die Holzkohle aus dem Walde zur Hütte. Dann hatten die Gruben für den Stollenausbau, ihre Zimmereien, für die Herstellung von Wasserrädern, Rinnen, Gestänge, Förderkunst, Schacht- und Nebengebäuden usw große Mengen Holz nötig, denn vieles, was heute aus Eisen und Beton gebaut wird, konnte nur in Holzbauweise hergestellt werden. Um diesen Bedarf zu decken, waren ständig Fuhrkolonnen unterwegs, die das Bergamt anforderte.

Weiter waren die zahlreichen Sägemühlen mit Langholz, Blochen und Knüppeln zu beliefern, auch das Brennholz für die Einwohner heranzuschaffen, das ihnen auf Grund des noch aus hannoverschen Zeiten stammenden Brennholz- Abgabe- Regulativs zustand. Der Eigenbedarf erforderte, zumal neben den Pferden meistens ein größerer Rinderbestand, Wiesen und Kartoffel- Äcker vorhanden waren, auch viele Fuhren.

Gefahrvoll und schwer ist des Fuhrmanns Arbeit, wenn von den Kahlschlägen Langholz abzufahren ist. Die ausgesuchten Stämme – jeder trägt vorn eingeschlagen eine Nummer – werden durch die vorgespannten Pferde zur Ladestelle geschleift. Das erfordert bei der Schwere der Stämme viel Umsicht und Geschicklichkeit, zumal, wenn der Kahlschlag sich an einem Bergabhang befindet. Da kann es leicht geschehen, daß der schwere Stamm ins Rutschen kommt, Mann und Pferd gefährdet.

An der Ladestelle werden die Stämme durch die nun quer angespannten Pferde auf den geteilten Wagen gezerrt und auf diese Weise mit 3 bis 5 Stämmen beladen. Zum Schluß verbindet man den Hinterwagen mit den Stämmen durch Ketten und sichert sie gegen Abrutschen durch eingeschlagene Dorne. Auch in der Mitte werden die Stämme durch Ketten mit einer langen Holzreidel zusammengezurrt (gerädelt). An den Reidel werden die Futtersäcke für die Pferde, die Ledertaschen mit dem Proviant gehängt.

Die Heimfahrt stellt oft große Anforderungen an die stämmigen Pferde. Bei größeren Steigungen werden, da meist zwei Gespanne zusammen fahren, die schwerbeladenen Wagen nacheinander durch die mit vorgespannten Pferde die Anhöhe hinaufgezogen. Lautes Geschrei und Schimpfen der Fuhrleute, die, wenn es nicht recht vorwärts gehen will, auch scharfe Hiebe mit der Peitsche austeilen, feuern die sich schwer in die Siele legenden Pferde an. Die Bremsen müssen gut in Ordnung sein, damit bei abschüssiger Fahrt die Fahrgeschwindigkeit gut reguliert werden kann, denn wehe, wenn die Bremsen nicht halten.

Fuhrleute sind bei Wind und Wetter unterwegs, immer im Freien. Das ist beneidenswert, wenn die Sonne über Berg und Tal scheint, wenn es ringsum grünt und blüht, die Natur sich von ihrer besten Seite zeigt. Aber wie sieht es aus, wenn der Himmel seine Schleusen öffnet? Das geschieht im Oberharz sehr oft und ausgiebig. Dann kommt der Mann „trasche“ naß bis auf die Haut nach Hause und es kostet Mühe, die nasse Kleidung bis zum nächsten Morgen zu trocknen.

Auch im Winter ruht der Fuhrbetrieb nicht. Wenn fester Schnee eine gute Schlittenbahn ergibt, wird mit Schlitten Holz, auch Langholz, gefahren. Freilich wird dann der blaue Fuhrmannskittel mit einer dicken Jacke, der Hut mit einer festen Tuchmütze, die man auch über die Ohren ziehen kann, vertauscht. Die Hände schützen dicke Fausthandschuhe aus festem Stoff. Es muß aber auch manchmal mit bloßen Händen gearbeitet werden. Zur Erwärmung klatscht man dann die steifen Hände wechselseitig über die Oberarme. Bei Einbruch der Dämmerung kommt der Fuhrmann doch „storrel steif“ gefroren heim, die Augenbrauen und Barthaare schneeverkrustet und vereist. Die Kleidung muß erst aufgetaut und dann noch getrocknet werden. Die Instandsetzung muß bei dem fahlen Schein eines Ölkrüsels, in späteren Zeiten bei dem freilich helleren Licht der Petroleumlampe vorgenommen werden. Das ist eine Beleuchtung, die bei weitem nicht der Helligkeit unseres heutigen elektrischen Lichtes entspricht.

Zum Langholzfahren benutzte man im Winter nur einen kurzen, kräftigen Schlitten, das „Knäbchen“. Darauf ruhen die Stämme mit ihrem Stammende, während die Spitzen hinten auf dem Wege schleifen. Durch Ketten sind auch hier die Stämme zusammen gereidelt. Geht es bergab, so wird als Bremse einfach eine Kette vorn um die Kufe geschlungen, die dann bremsend nach hintern unter die Kufe rutscht.

Die „Trift“ war für uns Kinder die Rodelbahn. Wir schimpften immer, wenn so eine Langholzfuhre durch die Bremskette unsere schöne, glatte Rodelbahn der Länge nach aufgerissen hatte und wir dadurch nicht mehr so schöne, schnelle Fahrten mit unserem Rodel erzielten. Ebenso hatten die Fuhrleute ihren Unmut, dass wir eine so glatte Fahrbahn geschaffen hatten, auf der die Pferde kaum stehen konnten.

Gefahrvoll war immer die Fahrt mit den schweren Stämmen die „Trift“ hinunter, da diese am Ende durch die anliegenden Häuser sehr eingeengt war. Einmal ist es hier passiert, dass wohl durch Reißen der Bremskette das Tempo der Fuhre beängstigend zunahm. Geistesgegenwärtig konnte der Fuhrmann zwar die Pferde so dirigieren, dass sie keinen Schaden erlitten, der Schlitten aber raste gegen die Hausecke. Ein Stamm „machte sich selbstständig“, durchbrach die Hausmauer und landete beim Ramakers Heinrich in der Werkstatt.

Kamen „Erlauchte“ Persönlichkeiten oder gar der König von Hannover zu Bergwerksbesichtigungen nach Clausthal, wurden sie von der arbeitenden Bevölkerung mit eine „Aufwartung“ geehrt. Dazu stellten sich die Beteiligten mit Blickrichtung zum Oberbergamt auf dem Marktplatz auf, der damals noch schlicht gepflastert war.

Neben den Berg- und Hüttenleuten in ihren Trachten, die Bergleute hielten brennende Grubenlichter in den Händen, neben diesen allen waren auch die Fuhrleute, auch in ihrer Tracht, mit dabei. Die Fuhrherren im weißen Fuhrmannskittel, bunte „Knüppeltücher“ um den Hals, dunkle, breitkrempige Hüte auf, saßen auf ihren Pferden, die reich mit Silber beschlagenes Zaumzeug hatten. Sie nahmen vor der Front ihrer Fuhrknechte Aufstellung. Diese in ähnlicher, wenn auch einfacher Tracht, statt des weißen mit einem blauen Leinenkittel angetan, waren auch beritten. Sie stellten sich hinter ihrem Fuhrherren mit so viel seitlichem Abstand auf, dass sie beim Peitschenschwingen nicht hinderlich waren.

Die „hohen Herrschaften“ waren auf den Balkon herausgetreten. Auf ein Zeichen vom Oberbergamt, aus dem oberen Rundfenster wurde eine Laterne gehalten, setzte ein Peitschenkonzert ein, dessen Rhythmus die Bergkapelle mit einem Marsch dirigierte. Die Bergleute hielten dabei ihre Grubenlampen hoch. Zum Schluß sangen alle: Glückauf, ihr Bergleut’ jung und alt. Das Peitschenkonzert war der Gruß der Fuhrleute an ihren Landesfürsten.

Heute sind die Pferde und mit ihnen auch die Pferdfuhrwerke fast aus dem Blickfeld verschwunden. Fahrzeuge mit Motor, seien es Pkw, Lkw, Omnibusse, Traktoren und Motorräder beherrschen jetzt die Straßen und Wege. Der gemächliche Trott, das Klappern und Stampfen der Pferdehufe ist verschwunden, alles ist schneller, aber auch komplizierter geworden.

Der Fuhrmann wird mit der Zeit aussterben, aber zwei Berufe sind neu entstanden, die der Eisenbahner und der Kraftfahrer und ihre Zahl ist weit größer, als es jemals Fuhrleute gab.

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